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Mein liebster Herbert,
ich danke dir aus tiefstem Herzen
und mit all meiner Liebe
für unsere unzähligen, wunderbaren Gespräche nach deinem Tod.
Sie gaben mir den Mut und die Kraft weiterzugehen.
Schritt für Schritt.
Sie halfen mir,
mich selbst und mein Glück wiederzufinden
und sie tun dies auch weiterhin.
Ich empfinde eine immense Dankbarkeit, die sich wie ein stetes inneres Gebet anfühlt.
DANKE!
In Liebe,
deine Steffi
Ich widme dieses Buch meiner geliebten Mama, die vor über 20 Jahren im 49. Lebensjahr ebenfalls zur jungen Witwe wurde. Niemals hätte ich gedacht, dass mich dieses Schicksal eines Tages ebenso treffen wird. Meine Mutter war „mein Ohr Nummer 1“ in dieser schweren Zeit. Oft rief ich sie mehrmals täglich an, um mich ihr mitzuteilen, vor allem an Tagen, an denen es mir besonders schlecht ging. Sie war stets da für mich – mit einem offenen Ohr zum Zuhören, einer starken Schulter zum Anlehnen, liebenden Armen, die mich umfingen, stets mit Worten des Trostes für mich bereit. Und allem voran mit einem liebevollen Herzen, das dem meinen zu jeder Tages- und Nachtzeit bedingungslos zur Verfügung stand.
Danke, Mama, für alles, was du für mich getan hast. Du hast mir Kraft und Halt gegeben.
Ich liebe dich!
Es zählt nur eins: Der Augenblick:
Jede Sekunde leben
Leise tickt die Uhr
Doch jetzt will ich nur
Meinen Herzschlag hör’n
(Aus „Der Augenblick“ von Helene Fischer)
VORWORT
Ich widme dieses Buch auch allen jungen Witwen, die viel zu früh ihren Mann begraben mussten. Ich habe es geschrieben, um euch Mut zu machen, daran zu glauben, dass das Leben mit dem Tod des geliebten Mannes nicht zu Ende ist. Natürlich hoffe ich, dass es allen Trauernden Kraft gibt, den Lebensweg mutig weiterzugehen – egal ob Männern oder Frauen, ob jung oder alt. Es ist ein Buch der Liebe, die weit über den Tod hinausreicht.
Mein Mann blieb auch nach seinem Tod bei mir – nicht nur in meinem Herzen, sondern als spezielle Seele im Jenseits, die mit mir Kontakt hielt und auch nach wie vor hält – manchmal auf Abruf, oftmals ganz spontan, so wie er es wünschte. Ja, ich konnte und kann mit Herbert sprechen – ich sehe ihn, ich höre ihn, ich spüre ihn. Immer noch. Ich binde ihn allerdings nicht an mich oder die Erde – im Gegenteil – ich habe ihn sofort losgelassen, um ihn an der Reise in die andere Welt auf keinen Fall zu behindern. Was wir zusammen hatten, war die größte Liebe, die zwei Menschen miteinander auf Erden erleben können – und was wir nun zusammen haben, ist, dass diese große Liebe auch überirdisch weiter Bestand hat. Das ist wundervoll.
Ich kann heute auf unser großes Hochzeitsbild im Schlafzimmer blicken, ihn liebevoll lächelnd ansehen und ihm für unsere großartige Liebe und unser – wenn auch nur kurzes – gemeinsames Leben danken. Und anstatt Tränen in meinen Augen verspüre ich immer mehr ein Lächeln in meinem Herzen. Ich weiß, dass diese Liebe niemals vergehen wird.
Wien, 1. 11. 2014
Prolog
Mein Mann Herbert erlitt am 11 .Juli 2011 aufgrund eines Ärztefehlers einen Hirnschlag. Von da an war sein Sprachzentrum so gestört, dass er kein Wort mehr sprechen konnte. Mit mühevoller Arbeit, die wir gemeinsam geduldig und liebevoll verrichteten, erlernte er nach vielen Monaten wenige Worte.
Oft dankte ich Gott, dass Herbert seine wunderbare, liebevolle Art und seinen Humor behalten hatte, was unser Leben trotz aller Hürden nicht nur erträglich, sondern auch wieder lebenswert machte. Wir fuhren auf Urlaub, spielten Tennis, gingen ins Kabarett, weil er sogar den Wortwitz wieder zu verstehen lernte und führten trotz der Schwere unseres Schicksals ein glückliches Leben. Denn das Band der Liebe, das uns beide verband, bestand auch in der Stille, in der Worte überflüssig sind.
Am 9. Jänner 2014 erhielten wir die schockierend Diagnose: Magenkrebs. Siegelringkarzinom. Dabei handelt es sich um eine äußerst aggressive Tumorform, wie wir später erfahren sollten.
Am 14. April, meinem 47. Geburtstag, wurde Herbert sechs Stunden lang operiert. Der gesamte Magen wurde entfernt, samt dem bösartigen Tumor. Die Befunde zeigten, dass sich keine Metastasen gebildet hatten und keine anderen Organe betroffen waren. Alles schien wunderbar glatt gegangen zu sein. Welch Geschenk! Wir waren so glücklich! Wobei dieser Satz nicht auszudrücken vermag, was wir fühlten. Wir hatten nicht gewusst, ob er die OP überhaupt überleben würde, weil er schon so geschwächt war.
Leider hielt dieser Zustand nicht lange an. Herbert musste zurück ins Spital.
Am 11. August 2014 verstarb mein geliebter Mann nach einer dreimonatigen Tortur im Krankenhaus, ohne dass man jedoch noch eine einzige Krebszelle hatte nachweisen können. Die Qualen des ewigen Erbrechens, die Schmerzen, die Schwäche und all die teilweise inhumanen Behandlungen in den diversen Krankenhäusern ertrug er mit unbeschreiblicher Geduld. Wobei er sie mit der Geduld eines Heiligen ertrug, wie viele meinten, denn er war ein ungeduldiger Mensch gewesen…
Über das Sterben sprachen wir erstmals im Juli. Ich sagte ihm, dass ich bei ihm sein und ihm helfen würde, wenn er den Weg in die andere Welt antreten müsse. Er solle dem Licht folgen, sollte es so weit sein, da würden ihn seine Engel erwarten, und er möge mit ihnen gehen. Selbst wenn er mich traurig zurücklassen müsse, würde ich damit zurechtkommen.
„Aber ich bin auch da für dich”, sagte ich zu ihm, “wenn du dich zurück ins Leben kämpfen kannst. Dann nehme ich dich bei der Hand und gehe jeden einzelnen Schritt mit dir zusammen!”
Erst am Tag seines Todes, ein paar Stunden davor, teilte uns die Palliativschwester mit, dass es ihrer Meinung nach kein Morgen für ihn mehr geben werde.
Herbert tat sich bereits schwer mit der Atmung, er transpirierte extrem kalten Schweiß, und er bekam Morphium, damit er diesen Zustand leichter ertragen konnte.
Ich saß bei ihm am Krankenbett, wie schon all die Tage und halben Nächte zuvor, hielt seine Hand und gab ihm all meine Liebe.
Dazwischen informierte ich alle Familienmitglieder über seinen Zustand, falls sie sich von ihm verabschieden wollten. Alle folgten meinem Ruf rechtzeitig, und seine Tochter, seine Schwester und meine Mutter begleiteten ihn auch auf seinem letzten Weg.
Ich sprach mit Herbert über das Sterben, sprach vom Loslassen, vom Licht und dem Schutzengel, dem er folgen möge. „Ich liebe dich!“, wiederholte ich immer wieder, küsste ihn und legte mein Gesicht in seine Hände, so wie er es früher oft getan hatte.
Seine Hände an meinen Wangen: so viel Geborgenheit.
Während Herbert sich langsam in die andere Welt atmete, hielt ich seine Hand, stützte seinen Kopf, betete, sprach beruhigende Worte zu ihm und Worte meiner Liebe.
Sein Herz war stark, weshalb sein Gehen lange dauerte.
Ich betrachte es als Geschenk, dass ich meinen Mann beim Sterben begleiten durfte, für ihn und für mich, wenn es auch die schwersten Stunden waren, die ich je in meinem Leben verbringen musste.
Die letzten drei Atemzüge, als sich die Silberschnur von seinem Körper löste, werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen – es schien, als hätte er große Schmerzen. Heute jedoch weiß ich, dass das, was ich beobachten konnte, das Loslösen der Seele aus seinem Körper war.
Als er endlich gehen durfte, was das Ende seiner Schmerzen bedeutete, war die Erleichterung groß.
Der Schmerz in meiner Seele jedoch war größer.
TEIL I
Montag, 11. August 2014
Du bist tot. Die Schwestern kommen und bringen dich zum EKG, um deinen Tod auch offiziell festzustellen. Ich will alleine sein. Ich gehe hinaus in den kleinen Garten des Krankenhauses.
Und du bist sofort bei mir! Du lächelst!
Es geht dir gut!
Ich kann dich sehen! Hören! Ich kann mit dir sprechen! So schnell schon!
Es ist wie ein Wunder!
Es regnet. Das passt gut. Ich sitze da und spüre den Regen auf meinem Kopf, meiner Haut.
Ich weine.
Da höre ich deine Stimme, ganz fröhlich und klar: „Mein Süßes, mein Süßes, mein Süßes, hier ist es noch schöner, als du mir erzählt hast!“
„Naja, ich war ja noch nicht da“, antworte ich in Gedanken, „oder kann mich nicht mehr so genau erinnern …“
Jetzt lächeln wir beide.
„Mein Süßes, du hast alles richtiggemacht! Schau nicht in die Vergangenheit. Lebe in der Gegenwart, mit einem kleinen Blick in die Zukunft. Du hast so gut für mich gesorgt die letzten drei Jahre, ich werde jetzt für dich sorgen. Ich bleibe in Verbindung mit dir. Du wirst mich spüren. Du wirst mich hören.“
Und er zitiert aus „EMMA“: „Unsere Herzen sind bedingungslos miteinander verbunden. Gemeinsam werden wir dieser Welt einen neuen Frieden geben.“
Herbert ist noch schwach. Drei Tage wird er brauchen, um sich zu stärken. Danach werde ich ihn stark spüren. Er bleibt bei mir, energetisch, ohne erdgebunden zu sein.
Ich lächle. Es fühlt sich friedlich an. Dennoch weine ich dann wieder.
Plötzlich höre ich Herbert singen, ein hebräisches Lied, eine wunderschöne Melodie.
„Ich dachte, du bist schwach und musst dich ausruhen?“
Da zeigt er fröhlich auf zwei Engel neben sich: „Die beiden borgen mir gerade etwas von ihrer Energie, damit ich noch ein bisschen mit dir sprechen kann!“
Du bist so fröhlich!?
„Mein Süßes, es geht mir gut! Die Trennung wird nicht so weh tun, wie du jetzt denkst! Es wird anders sein, als du erwartest. Es wird gut sein. Mein Süßes, mein Süßes, mein Süßes!“
Du bist fröhlich und singst!
Ich gehe zurück. Du liegst in einem Extrazimmer, frisch umgezogen, zugedeckt mit einem weißen Leintuch. Deine Hände am Bauch, eine Rose auf deiner Brust. Die Rose ist aus unserem Garten, ich hatte sie dir heute Morgen mitgebracht. Sie duftet. Sie stammt vom letzten Rosenbusch, den wir gemeinsam vor deiner Operation in der Gärtnerei ausgesucht hatten. Wie immer hatten wir eine duftende Sorte gewählt. Jakob hatte den Rosenbusch für dich an der von dir bezeichneten Stelle im Beet eingesetzt. Jetzt bist du tot, und die duftende Rose liegt auf deiner Brust, zum Abschied.
Ich nehme deine Hände, will sie halten, solange sie noch warm sind, küsse deine Lippen, bevor sie erkalten. Alles ein letztes Mal, und nochmals ein letztes Mal, und immer wieder ein letztes Mal, bevor wir gehen müssen und ich dich nie wieder sehen werde, dich nie wieder berühren kann, dich nie wieder küssen kann. Denn du bist tot.
Was habe ich jetzt zu tun? Wohin fahre ich? Wen rufe ich an? Warum bin ich nicht auch gestorben? Warum bist du tot und ich bin noch da? Mit wem will ich sprechen? Wo sind meine Kinder? Was soll ich jetzt machen? Einfach heimfahren und nie mehr wieder ins Spital zurück … wo ich doch alle meine Tage und auch etliche Nächte in den letzten Monaten verbracht hatte. Was mache ich jetzt?
Mein Kopf dreht sich und ist leer zugleich. Ein eigenartiger Zustand. Ich überlege. Habe ich etwas vergessen aufzuschreiben, von dem, was du mir vorhin gesagt hast?
Ich soll mir keine Sorgen machen, du wirst für mich da sein. Du sorgst für mich. Du bleibst mit mir in Verbindung, du wirst mich leiten. Alls wird sich ergeben. Neue Aufgaben werden auf mich zukommen. Schritt für Schritt, so, wie wir immer gesagt haben.
Sonntag, 17.8.
Gestern Abend, vor dem Einschlafen, bittest du mich, mich täglich zumindest einmal in der Stille mit dir zu verbinden. Gerne.
Ich liege im Bett, du nimmst mein Gesicht in deine Hände, und ich kann die Energie an meinen Wangen vibrieren spüren. Ja, du bist mir ganz nah, ich fühle es. Dennoch bin ich zeitgleich traurig, dich nicht wirklich berühren zu können. Wir werden üben. Dann werde ich dich mehr und mehr wahrnehmen können.
Ich schlief dann mit deinen Händen an meinem Gesicht ein. Wie schön.
Dennoch war die Nacht schlecht, mit wenig Ruhe. Ich konnte nicht abschalten, in meinem Kopf erklang ADON OLAM, ich hörte Teile meiner Rede zum Abschied und dich singen. LECHOL ECHAD.
Mein Schatz, ich vermisse dich so sehr. Doch empfinde ich auch das Gefühl, getragen zu werden, damit ich nicht gänzlich verzweifle. Es ist seltsam. Aber woher sollte sonst zeitweise dieser innere Frieden kommen? Alles, alles um mich herum erinnert mich an dich, an uns, und ich bemühe mich ganz bewusst, nicht an die Vergangenheit zu denken, an unsere schönen Erlebnisse, weil es zu sehr schmerzt. Manche dieser Erinnerungen sind schon weit weg, stammen aus der Zeit vor der Aphasie. Die meisten unbeschwert schönen Zeiten fanden davor statt…
Ich möchte lernen, im Jetzt zu leben.
Ich vertraue auf deine Führung, mein Schatz.
Ich liebe dich!
21 Uhr 36
Mein Liebling, wie schon gesagt: Ich hoffe, dass du recht hast, beziehungsweise: Wehe, du hast nicht recht!
Ich ertrage alles zur Zeit „halbwegs gut“, weil ich dir vertraue. Weil ich dem vertraue, was du mir sagst. Ich habe keine Angst vor der Zukunft, denn du trägst und leitest mich. Du wirst mich mit den richtigen Menschen zusammenführen. Weil wir zusammenarbeiten werden. Wie, das weiß ich noch nicht, aber ich spüre, dass es die Wahrheit ist.
Du sagst: Es wird ganz anders, als du dir vorstellen kannst. Ja, auch darauf vertraue ich. Etwas passiert in der Welt. Ich spüre es.
Ich verlasse mich auch darauf, dass ich dich mehr und mehr spüren werde. Meine Liebe zu dir ist unerschütterlich.
Montag, 18.8.
Heute ist dein Begräbnis.
Als Dorit mich am Dienstag der Vorwoche fragte, ob ich nicht ein paar persönliche Worte dabei sprechen möchte, lehnte ich sofort ab. Denn ich rede nicht gerne vor anderen Leuten. Dann meinte Dorit, ich könne ja eine Rede zusammenstellen, und sie würde sie für mich vortragen. Damit war ich einverstanden. Noch am selben Abend flossen die Worte nur so aus mir heraus, als würdest du sie mir diktieren. Und dabei war mir rasch klar: Niemand außer mir selbst würde diese Rede halten.
BEGRÄBNIS AM 18.August 2014
Meine Abschiedsrede in der Zeremonienhalle
Wir zeigen der Welt,
dass Liebe in ihrer vollkommenen Form
stärker als alles andere ist.
Liebe bewegt die Welt,
macht sie lebenswert,
und ist die reinste Form von Energie,
die den Mensch erfüllen kann.
(Aus „Es war einmal“ von Herbert Granierer)
Ich lernte meinen Herbert kennen, als ich elf Jahre alt war, als kleines Mädchen am Tennisplatz, das sich in den um 15-Jahre älteren Mann verliebte. Doch das spielte keine Rolle, ich wollte ihn ja nicht heiraten! Ich spürte ganz einfach diese große Zuneigung.
Ich glaube, unsere Seelen haben sich schon damals erkannt.
Da Herbert kurz darauf nach Israel auswanderte, hatten wir 25 Jahre fast keinen Kontakt, bis wir einander vor etwa elf Jahren wieder trafen. Der Rest ist den meisten bekannt.
Herbert ist der liebevollste, wahrhaftigste, authentischste und ehrlichste Mensch, dem ich je begegnet bin, der wundervollste Mann. Der Mann, der meinem Leben die Poesie wiedergab.
Herbert war nicht nur der Mann, von dem ich über alle Maßen geliebt wurde und den ich mehr liebe, als ich in Worte fassen kann, sondern er war zugleich auch mein bester Freund, meine beste Freundin, mein Bruder, meine Schwester, mein Liebhaber, mein bester Tennistrainer, mein liebster Tennispartner, mein ehrlichster Kritiker, mein größter Motivator, mein bester Einkaufsberater, mein liebster Sänger.
Ja, er hatte so viel Musik in seinem Herzen, und wenn er mein Gesicht in seine Hände nahm, konnte er mich mehr Liebe spüren lassen, als alle Worte es je gekonnt hätten.
Doch auch mit Worten war er großartig, und ich liebte seinen schelmischen Humor über alles.
Es gab nichts, was ich nicht am liebsten mit ihm tat, mit ihm unternahm, mit ihm besprach, sei es auszugehen, zu reisen, alles zu besprechen, Sorgen zu teilen, Rat einzuholen, Rat zu geben, zu lachen, zu weinen, zu blödeln, verrückt zu sein und manchmal auch ganz normal …
Herbert war und ist der wundervollste Mann auf der ganzen Welt für mich, unersetzbar, und ich bete zu Gott, dass der Schmerz, der sich in diesen Tagen in meinem Herzen breitmacht, mich nicht zerbricht.
Herbert hat sich seinen Optimismus auch während seiner schweren Krankheit lange bewahrt. Er glaubte nicht, dass er sterben müsse, er ertrug all den Schmerz, das Erbrechen, die Übelkeit und den Verlust der Sprache mit einer Geduld und Stärke, mit der er jedes Ziel auch in anderen Lebensbereichen zuvor verfolgt hatte.
Kurz vor seine Operation Mitte April hatten wir noch wunderbare kurze zehn Tage zusammen, in denen es ihm besser ging, nachdem er die Chemotherapie aufgrund der starken Nebenwirkungen vorzeitig abgebrochen hatte. Wir gingen viel spazieren und essen, und Herbert kaufte sich noch zwei schicke neue Hemden in seiner Originalgröße, die ihm zu dem Zeitpunkt bereits viel zu groß waren, aber mit dem Optimismus, dass sie ihm nachher wieder gut passen würden.
Er bestellt eine Markise für unsere Terrasse, weil ihm der Schirm zum Verrücken schon zu schwer war, damit er, nach der Operation geschwächt, im Schatten sitzend die Blumen in unserem Garten betrachten werden könne. Nun – die Markise ist immer noch nicht fertig, weil sie mehrfach schadhaft montiert wurde, aber Herbert wird nun nicht mehr darunter sitzen können.
Auch das neue Besteck, das er unbedingt noch haben wollte, wird er nicht mehr benutzen können.
Doch sein Geist lebt in mir weiter, unsere Liebe ist unsterblich.
Als wir vor fünf Jahren heirateten, überlegten wir, was wir in unsere Ringe eingravieren lassen möchten.
Wir beschlossen, kein Datum gravieren zu lassen, sondern simpel „Steffi und Herbert“. Wir empfanden, dass unsere Liebe keinen Beginn hatte und auch kein Ende haben wird, wir fühlten uns als Seelenpartner, deren Liebe von Anbeginn der Zeit bis in alle Ewigkeit Bestand hat, einfach da ist, schon immer da war und für immer da sein wird.
Ich weiß, Herbert ist bei mir, er gibt mir Kraft und Trost.
Und weiterhin so viel Liebe!
Unsere Liebe
Ist wie ein Geschenk des Himmels
Ein Tanz in den Wolken
Bis in alle Ewigkeit
Und die Schönheit unserer Liebe
Lässt Rosen in der Wüste erblühen
(aus „Rosen in der Wüste“ von Steffi Granierer)
Montag, 25.8.
Mein Liebling,
heute vor zwei Wochen bist du gestorben. Einfach gestorben. Du hast dich in die andere Welt geatmet. Und ich bin zurückgeblieben, in dieser grausamen Welt. Ich bin so voll Trauer heute, dass ich nicht weiß, wohin mit mir. Wohin mit meiner Einsamkeit, mit meiner Traurigkeit, mit meiner Wehmut? Ich bin so allein. Ich bin so unendlich traurig. Wer trocknet meine Tränen? Mein Sohn schließt die Tür, wenn er mich weinen hört. Wo ist eine Schulter zum Anlehnen? Wo bist du, mein Held? Mein tapferer Held…
Wie schlimm ist es, die Mutter weinen zu hören, immer und immer wieder, jetzt so plötzlich immer mehr, wo sie doch in den ersten Tagen so stark war? Stark? Oder in einer Art Schockzustand? Trance? Verleugnung?
Wo ist mein Leben?
Es gibt bestimmt ein Leben nach dem Tod für den Toten, für dich, aber gibt es auch ein Leben nach dem Tod für den, der nicht gestorben ist, für mich? Noch kann ich es mir nicht vorstellen… Ich weiß nicht, warum mein Herz noch schlägt, warum ich noch atme, als wäre nichts passiert.
Ich kann die belanglosen und bedeutungslosen Gespräche anderer nicht mit anhören, denn mein Mann ist gestorben.
Du bist tot. Wie kann irgendetwas anderes auf dieser Welt noch Bedeutung haben?
Ich höre dich nicht, sehe dich nicht, spüre dich nicht, komme kaum in meine Ruhe, möchte laut heulen, dass die ganze Welt es vernehmen kann.
Freundinnen rufen mich an, schreiben mir Sms, wollen mit mir Kaffee trinken, Eis essen, Tennis spielen, mich einladen, zum Friedhof fahren. Das ist aufmerksam und lieb, aber meistens will ich nicht, sage ab, mag keinen Small-Talk. Dann wiederum will ich mich ablenken…soll ich also doch?
Oft möchte ich allein sein, dann wieder nicht.
Heute war ich bei den Schwiegereltern. Sie sind auch einsam, der Verlust schmerzt sie tief.
Mein Herz tut so weh. Aber es schlägt weiter.
Bumm. Bumm. Bumm.
Freitag, 29.8.
Die Tränen kullern, nichts kann sie halten. Wozu auch? Ich lasse sie rinnen.
Ich habe Angst vor dem, was kommt.
Das erste Weihnachten ohne dich.
Die erste Chanukka-Feier ohne deine beschwingte Stimme. (Selbst nachdem du deine Sprache vor drei Jahren verloren hattest, summtest du bei den Liedern mit. Du hattest Musik in deinem Herzen.)
Kein Weihnachten mehr zusammen. Nie wieder gemeinsam Kekse backen.
Keine gemeinsamen Pessach-Feiern.
Nichts mehr.
Für immer ohne dich.
Lieber Gott, warum ist der Tod für die Hinterbliebenen, für uns, für mich, so gnadenlos?
Wäre es nicht besser, uns mitzuteilen, nach Ablauf welcher Frist man sterben werde?
20 Monate zum Beispiel. Da könnte man noch Reisen machen, alles besprechen, ja sogar ein Kind bekommen! Man könnte sich darauf einstellen, vorbereiten.
Aber so?
Lieber Gott, das ist nicht fair!
Natürlich ist es fair. Wer will schon wissen, wann er stirbt? Wie würde man damit umgehen?
Das Leben ist immer fair, ganzheitlich betrachtet. Das Problem ist nur, dass wir die ganzheitliche Betrachtungsweise nicht mit in die Wiege gelegt bekommen, es wird überhaupt vergessen, sie uns zu vermitteln. Das ist nicht fair!
Hast du heute schon mit mir gesprochen? Habe ich dich kurz gesehen?
Es ist jetzt Abend. Die Abende sind am schlimmsten.
Ich habe beschlossen, mich bei der Trauerarbeit unterstützen zu lassen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das Erstgespräch mit der Caritas erwartet mich am Montag.
Ich liebe dich, Herbert!
Nachsatz: Kann man an Einsamkeit sterben?
Meine Abende waren auch einsam, als du wochenlang im Spital lagst. Aber da gab es noch ein „morgen“. Heute gibt es kein „morgen“ mehr, und auch morgen wird es kein „morgen“ mehr geben…
Nichts mehr. Nie mehr.
Wozu noch die einsamen Abende, die einsamen Nächte, die sinnlosen Tage?
Wenn einem das Herz zerreißen kann – dann bitte gleich! Ich bin bereit, auf all die einsamen Stunden zu verzichten. Ich brauche sie nicht. Ich will sie nicht.
Ich ertrage sie nicht.
Dienstag, 2.9.
Dauerregen. Die meisten schimpfen darüber, doch ich finde es passend, dass die Sonne nicht vom Himmel lacht, während meine Seele weint.
Nach einem Vormittag am Friedhof lag ich im Bett und schluchzte – zu viele schöne Erinnerungen, die nun schmerzten, suchten mich heim. Da gingen auf einmal beide Nachtkästchenlampen gleichzeitig an über unserem Bett. Beide auf einmal! Das gab es noch nie, sie sind ja auch nicht im selben Schaltkreis. Seltsam. Normalerweise beruhigt mich das sofort, weil ich weiß, dass Engel hier sind, mein Papa oder sogar du, aber diesmal weinte ich minutenlang weiter und drückte Arie, den kleinen Stofflöwen, den du mir damals in Pinkafeld geschenkt hattest, ganz fest an mich. Erst als ich mich wieder beruhigt hatte, dachte ich über die beiden Lampen nach.
Warst das du? Schon so fleißig geübt? Was kannst du noch? Kannst du mich berühren und küssen? Bitte!?! Ich weiß, das ist viel schwerer, habe ich gelesen, aber du übst doch fleißig, oder?? Seufz…
Heute stiegen erstmals auch Existenzängste in mir hoch. Werde ich es finanziell schaffen? Viel sprachen wir nach deinem Hirnschlag nicht darüber, weil wir nicht dachten, dass du sterben würdest. Ein paar Überlegungen stellten wir vor deiner Magen-OP an, änderten auch etwas im Testament.
Einige Zeit lang kann ich unbeschwert sein, aber ich muss unbedingt wieder mehr arbeiten. Dabei scheint es mir im Moment unmöglich, jemals wieder einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. Ich kann nicht lange unter Menschen sein, und nicht unter allen, nur bei einfühlsamen.
Ich bin nicht mehr gesellschaftsfähig, nicht mehr arbeitsfähig.
Ich bin ja nicht einmal trauergruppentauglich!
„Sorge dich nicht um die Zukunft!“, scheinst du mir erneut zu sagen, du würdest mir die richtigen Leute, den richtigen Job und den richtigen Mann schicken.
„Den will ich nicht!!“
„Du bist doch nicht dumm!“, scherzt du, wie damals beim Telefongespräch über Diamanten. Da waren wir noch gar nicht zusammen.
Du erzähltest mir, dass du auch in der Schmuckbranche gearbeitet hättest und dich mit Perlen und Diamanten auskennen würdest. „Ich brauche keine Diamanten, um glücklich zu sein“, betonte ich damals. „Aber nehmen würdest du sie schon, wenn du sie geschenkt bekommst?“ „Ja, klar“, lachte ich. „Na, das will ich meinen“, sagtest du schmunzelnd, „du bist ja nicht dumm.“
Nein, ich bin nicht dumm. Nur einsam, allein und unglücklich.
Doch eines wurde mir heute klar: Ich will wieder fröhlich sein können, eines Tages! Ich will heulen, wenn mir nach Heulen zumute ist, aber ich will nicht in der Depression aufgehen, im Selbstmitleid verfallen. Ich will mich meiner Trauer hingeben können, so oft und so lange ich das brauche, aber ich will einmal wieder fröhlich sein. Die Fröhlichkeit steckt in mir, und das ist gut so.
Die fröhliche Steffi. Wann wird es die wohl wieder geben?
Ich habe Angst, nie wieder glücklich sein zu können. Das ist ein erschreckender Gedanke für mich.
Ich war ein so glücklicher Mensch, eine so glückliche Frau!
Jetzt ist meine Welt zusammengebrochen.
Gestern war ich wieder fassungslos beim Gedanken, dass du innerhalb von drei Monaten gestorben bist. So schnell. Se lo hogen! Das ist nicht fair.
Mittwoch, 3.9.
Das Leben ist sonderbar. Der Mensch ist sonderbar. Das Gehirn ist sonderbar. In einem Moment denkt es dies, dann wieder das, reißt einen herum, bringt einen zur Verzweiflung, täuscht etwas vor, gibt keine Ruhe, dreht sich im Kreis, denkt an Dinge, mit denen man sich gar nicht beschäftigen will, es verklärt, erinnert sich falsch, macht Spekulationen zu Realitäten.
Ich will nicht an die schönen Dinge denken, die mich mit dir verbinden. Es tut so weh! All die schön-verrückten Dinge, die wir getan, gesprochen, geplant hatten. So einen Menschen wie dich gibt es nie mehr wieder. Nie mehr wieder. Nie mehr wieder! Ich kann nie wieder so glücklich sein wie mir dir. Nie mehr wieder.
Das ist grausam. Das Leben ist grausam. Wir Menschen sind grausam. Wir schaffen gemeinsam wunderschöne Erinnerungen, und dann ist der andere plötzlich tot, und alles tut weh.
Tot. Für immer.
Wie kann man dieses „nie mehr wieder“ und „für immer“ jemals begreifen? Wie es akzeptieren, ohne den Verstand zu verlieren? Oder wäre es sinnvoll, ihn zu verlieren? Schmerzte es weniger, wenn das Gehirn schweigen müsste? Oder würde es doch noch weiterdenken, nur anders?
Wann tut es nicht mehr weh? Wann, bitteschön? … Kann mir denn keiner helfen?
Ach Schatz, so gerne würde ich diese Liebe, unsere Liebe, hier auf Erden mit dir weiterleben.
Du fehlst mir so.
Ich sehe unsere Bilder hier im Büro hängen, das Bild aus Betsaida, das wir als unsere Hochzeitseinladung verschickten, die Fotos aus Paris, die über dem Computer hängen. Wir sehen so glücklich aus. Wir waren so glücklich! Und jetzt? Jetzt bist du tot und ich bin unglücklich. Ich kann es nicht fassen. Wie gerne würde ich bei dir am Spitalsbett sitzen, deine Hand halten, dich streicheln, dir in deine wundervollen liebenden Augen blicken und weiterhoffen, dass du gesund wirst. Ach, mein Liebling, es tut so weh! Wenn es hätte sein sollen, hätte der Krebs dich nicht getötet. Dann hättest du dich erholt, Schritt für Schritt, an meiner Hand, du hättest wieder gehen und sprechen geübt und dir deine Stärke und Sprache Tag für Tag, Stunde für Stunde zurückerobert. Deshalb sehe ich dich auch nie behindert! Wir hätten zurück zu einem beglückenden Alltag gefunden.
Hätten. Wären. Wenn…
STOPP! Steffi! Sofort aufhören!
Herbert ist tot. Du lebst! Lebe, Steffi!
Sonntag, 14.9.
Ich fühle tiefe Dankbarkeit in mir, dass meine Seele eine gewisse Leichtigkeit empfindet. Ich spüre, dass sich mein Wesen langsam neuorientiert. Wohin mich diese Neuausrichtung führen wird, kann ich nicht voraussagen, aber ich weiß, dass ich sie geschehen lasse. Ab und zu keimen Existenzängste auf, doch dann gehe ich, so ich es bemerke, in mein Urvertrauen und es fühlt sich sofort besser an. Es ist ungewohnt, alles fließen zu lassen. Das bin nicht ICH – ich bin die Steffi, die sich Sorgen macht, die dutzende Lösungen parat hat, bevor noch das Problem bekannt ist… und auf einmal könnte ich “es fließen lassen”?!?
Die ersten Tage nach deinem Tod war das leicht, das Leichteste überhaupt, denn wozu denken, planen, sich sorgen… es war alles vorbei, wofür es sich gelohnt hatte zu denken, zu planen, zu sorgen. Du warst tot und nichts konnte das ungeschehen machen. Loslassen. Es fließen lassen. Nichts tun. Tun lassen und das leben, was kommt. Jeden Tag aufs Neue. Nichts planen, nichts wollen, sich um nichts sorgen.
In den vergangenen Tagen wurde das schwieriger, weil es ja doch Dinge gibt, um die ich mich kümmern muss: Testament, Notar, Banken, Auto, Konsulat, Israel, die Grabgestaltung. Wird das Geld reichen? Kann ich das Haus behalten und erhalten? Wie geht es den Kindern, allen Kindern, deinen, meinen, unseren? Kommt dein Sohn Yoav allein in Israel zurecht? Kann ich für Liat so da sein, wie du es gewesen bist? Unser Band ist eng geworden seit deinem Tod. Deine Kinder. Deine Energie. Der Teil von dir, der noch lebt. Erdrücke ich sie mit meiner Trauer, mit meiner Liebe? Gut, dass sie noch ihre Mutter haben! Gut, dass ich Teil ihres Lebens bleiben kann, als väterlich-mütterliche Freundin. Meine Kinder! Matthias und Jakob – wie sieht es in ihnen aus? Sie haben dich so geliebt! Gesagt haben sie: Es tut so weh! Aber wir haben ja noch unseren Papa, Gott sei Dank haben wir noch unseren Papa, es würde unser Herz zerreißen, wenn unser Papa tot wäre. Zerreißt es die Herzen von Liat und Yoav? Wie kann ich ihnen beistehen, wenn auch mein Herz zerrissen ist?
Vorgestern fragte mich Matthias: „ Mama, weinst du eigentlich noch oft?“
„Jeden Tag, mein Liebling, jeden Tag“, antwortete ich.
Vorhin machte ich einen Fehler. Ich suchte im Schrank nach etwas und landete bei deinen Tennisshirts. Das da, das war das Geschenk kurz vor deinem Schlaganfall. Und hier dein „Winner-Shirt“, das du bei ganz wichtigen Matches anzogst. Und jenes hier – ohne Ärmel – in dem du wie ein junger Lausbub aussahst.
Die Tränen fließen erneut, die Erinnerungen kriechen hoch, unbarmherzig wie schwarze Gewitterwolken, die Unheil verkünden und sich dann entladen. Ich weine und mein Herz schmerzt in all den Erinnerungen, die ich gar nicht mehr haben will.
Die Stunden, in denen dein Verlust weniger weh tut, fühlen sich manchmal nahezu unheimlich an. Warum bin ich gerade nicht traurig? Ich muss doch traurig sein! Ich will nicht traurig sein. Ich mag mich erinnern. Ich mag mich nicht erinnern. Es tut gut, einmal nicht zu weinen. Ich mag heulen und mir selber leid tun. Ich will wieder glücklich sein. Wie kann ich jemals glücklich sein ohne dich? Ich bin wahnsinnig, ich werde wahnsinnig, ich muss wahnsinnig sein, mit all den wirren Gedanken und Gefühlen. Ich bin normal. Was ist normal? Ich bin in Trauer.
Ich bin in Trauer.
Ich trauere.
Um dich.
Und wieder weine ich.
Donnerstag, 18.9.
Heute Morgen, als ich erwachte, fragte ich mich: „Bist du wirklich tot?“
Wieder einmal war diese Endgültigkeit unfassbar. Ich sah dich krank im Spital, lächelnd und schwach. Wir hatten nicht wirklich geglaubt, dass du sterben würdest. Die Hoffnung blieb bis zum Schluss lebendig. Nie hörte ich auf, an deine Heilung zu glauben, an das Wunder, das eintreffen wird.
Ach Schatz, du fehlst mir so! Ich möchte mich an dich lehnen, deine Arme um mich spüren, deine Hände. Warum haben wir den Krebs so spät bemerkt? Warum haben die Ärzte nicht rascher reagiert? Warum musstest du sterben?
Ich möchte mit dir leben! Mit dir, mein Schatz, nur mit dir! Mein Leben ist so einsam ohne dich. Wird es jemals wieder Sinn haben? Ich habe Angst, ja, ich habe Angst. Ich habe auch Angst vor der Mittelmäßigkeit. „Zufrieden sein“. Ich will nicht zufrieden, ich will glücklich sein! Wie kann ich jemals ohne dich wieder glücklich sein, ohne die Liebe meines Lebens? Ich bin 47Jahre alt. Wenn es schlecht läuft, habe ich womöglich dieselbe Anzahl an Jahren noch vor mir. 47 weitere Jahre in Mittelmäßigkeit, ohne glücklich zu sein. Ein furchtbarer Gedanke.
Vorgestern besuchte mich Ronni und wir verbrachten einen netten Abend. Wir sprachen über Beziehungen und natürlich auch über dich. Ronni bewundert nach wie vor deine Klarheit. Die Klarheit in deinen Entscheidungen und allen Konsequenzen. Immer gingst du deinen Weg, ohne doppelten Boden, ohne Wenn und Aber. Du wogst ab, trafst eine Entscheidung und tatest danach alles dafür, damit der Weg, den du eingeschlagen hattest, der Beste werden würde, auf dem alles gedeihen durfte. So warst du, mein Liebling, geschäftlich und privat.
Als du beschlossen hattest, der Liebe den größten Stellenwert in deinem Leben zu geben, kreuzte ich deinen Weg. Wie gut, dass du auf dein Herz gehört hattest! Dadurch machtest du uns zu den glücklichsten Menschen auf Gottes Erden! Ronni meinte, dass wohl nicht viele Menschen eine so große und wundervolle Liebe, wie wir beide sie erfahren durften, erleben. Eine Liebe ohne Druck, ohne Bedingungen, mit solch Gewissheit und Erfüllung. Ich weiß das, und ich spüre die Dankbarkeit in meinem Herzen. Ich will dankbar sein. Ich will die Dankbarkeit und Liebe stärker spüren als den Schmerz, als diesen großen Verlust, als diese unermessliche Leere. Doch noch habe ich keine Chance… der Schmerz kommt immer wieder, durchdringt mich mit unglaublicher Wucht jeden Moment aufs Neue, manchmal unerwartet und so heftig, dass ich glaube, daran zu zerbrechen, dann wieder schleichend und leise, bis ich merke, dass die Tränen bereits alles durchnässt haben. Wann endet dieser Wahnsinn? Wie lange kann man so leben? Werde ich überleben?
„Ja“, meinte die Trauerberaterin, “ja, du wirst überleben.“
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Samstag, 1.11.
Ich war bei dir am Friedhof, saß über eine Stunde lang auf meiner Bank in der Sonne, vor deinem Grab.
Da liegst du nicht. Ich spüre dich. Du bist glücklich. Ich bin glücklich.
„Mein Süßes“, sagst du, „du machst das alles so gut!“
Es wird alles gut.
Du willst, dass ich abschalte, Vertrauen habe.
Wichtig ist, dass ich glücklich bin.
Ich fühle Frieden in mir.
Und eine tiefe Dankbarkeit für alles Schöne, das ich mit dir erleben durfte, für unsere übergroße Liebe. Ich vertraue deinen Worten.
Ich fühle auch, dass in meinem Inneren etwas passiert ist, dass der Wille, wieder glücklich zu sein, immer stärker wachsen darf.
Ich lächle.
Du bist bei mir.
TEIL II
Mein Liebling, ich danke dir!
Ein tiefer innerer Frieden begleitet mich.
Ich lebe.
Ich lebe heute.
Auch morgen werde ich wieder das Heute leben.
Was danach kommt, ist nicht relevant.
Ich bin glücklich.
Ich spüre dich und weiß, auch du bist glücklich.
„Mein Süßes“, sagst du, „du hast den Samen des Glücklichseins in dir gesät, das hast du hervorragend gemacht! So konnte ich ihn gießen und hegen!“
„Man sagt, die Voraussetzung für ein großes Wunder ist die Möglichkeit dafür!“
Dieses Zitat aus einem Film hängt bei uns daheim am Kühlschrank, und erinnert mich immer wieder daran, dass Wunder möglich sind, solange man die Bereitschaft in sich trägt, diese auch wahrwerden zu lassen. Und dass ich wieder glücklich sein kann, ist ein solches Wunder.
Ich liebe dich unendlich!
TEIL III
Sommer
Folgender Gedanke ist heute ausgeprägt vorhanden: Ich will und werde wieder die glücklichste Steffi werden, die ich sein kann
Wie wird das möglich sein?
Da höre ich eine innere Stimme, die sagt: „Mach dich zum Mittelpunkt deines eigenen Lebens!”
„Nicht Herbert, nicht eine neue Liebe, nicht deine Kinder sollen der Mittelpunkt deines Lebens sein, sondern ganz allein du.
Mach, was dir Freude schafft, triff Freunde, die dir gut tun, verrichte Arbeit, die du liebst.
Dann – und nur dann – strahlst du Glück und Freude aus, und sie werden tausendfach in dein Leben zurückkehren. Das ist das Gesetz der Resonanz.
Wenn du Freude ausstrahlst, kommt Freude auf dich zu.
Wenn du Glück ausstrahlst, wird das Glück dich immer wieder finden.
Wenn du Liebe ausstrahlst, begegnet dir die Liebe.”
Ja, nach deinem Tod fanden Glück und Freude mich. Ich hatte nicht nach ihnen gesucht, war nur innerlich bereit gewesen.
Wie einfach.
Ich spüre großen inneren Frieden in meinem Herzen. Und bete, dass er darin wohnen bleibt …
…
Herbst
Das Leben ging und geht weiter. Hochs und Tiefs wechseln einander ab.
Erinnerungen, Tränen, Lächeln, Gefühle der Einsamkeit, Dankbarkeit. Alles da.
Ich versuche nach wie vor, mein Leben „in den Griff” zu bekommen. Manchmal entwischt es meiner Kontrolle.
Aber es darf wieder schön werden und sein, und es war bereits in vielen Momenten schön.
Ich höre dich, ich spüre dich, ich weiß, es geht dir gut, vor allem, wenn es mir gut geht.
Du wirst für immer bei mir bleiben, das sagst du mir, als mein Geistführer aus der anderen Welt. Es beruhigt mich, und es ist wunderschön.
Bald schon werde ich dich noch intensiver hören können und wir werden auf wunderbare Weise zusammenarbeiten. Ich freue mich darauf.
…
Ich bin allein. Aber oft fühlt sich das bereits stimmig an.
Ich bin nicht allein. Du bist immerzu bei mir.
Ich stehe an deinem Grab und höre deine Stimme:
„Atme mich, mein Süßes! Ja, atme mich dreimal tief ein. Höre, was ich dir zu sagen habe: Schließe mich ab auf dieser Welt! Du bist mein Dual, wir werden für immer zusammen bleiben, auf dieser Welt und in allen Welten! Ich bin und bleibe immer bei dir. Aber schließe mich ab auf deiner diesigen Welt! Dir ist anderes bestimmt. Was suchst du mich Lebendigen bei den Toten? Fahr nicht mehr so oft ans Grab! Du weißt, hier bin ich nicht. Du kannst dich genauso gut zu Hause und überall mit mir verbinden. Es ist gut so. Alles ist gut so! Jaffa scheli!“
In den letzten Wochen krochen zeitweise erneut Panikattacken in mir hoch … Und der Schmerz im Herzen schien mich zeitweise wieder zu überwältigen.
Dann begann ich zu analysieren.
Ich erkannte, dass es mir zwar nach wie vor gut tat, keinen Termindruck zu haben, mein Leben nach mir ausrichten zu können, für niemanden sorgen zu müssen, keine kleinen Kinder mehr zu haben und keinen behinderten, schwerkranken Mann … doch dass mir gleichzeitig auch eine Beschäftigung fehlt, dass ich meine Talente einsetzen, meine Berufung leben möchte.
Ja, meine Berufung leben!
Ich begann wieder zu meditieren, mich vermehrt mit dir zu verbinden, mit meinem Schutzengel zu sprechen, mit den kosmischen Energien zu arbeiten. Und das hat vieles bewirkt. Ich bin ruhiger geworden, ausgeglichener. Ich spüre das Glück wieder in mir. Und wie!
Ich spüre die Freude, die Glückseligkeit, die Liebe. Und die Kraft, die sie mit sich bringen.
Und ich weiß: Was ich in mir fühle und erlebe, materialisiert sich in meinem äußeren Leben. Das ist ein kosmisches Gesetz! Analog zu meinem inneren Bewusstsein ziehe ich äußere Begebenheiten an. Auf welche Art und Weise sich diese erfüllen, übergebe ich nach oben.
Aber ich weiß: Ich bin Liebe. Ich bin Freude. Ich bin Glückseligkeit. Ich bin Gesundheit. Ich bin Wohlstand. Ich bin Licht.
Ich bin Dankbarkeit.
Ich atme durch.
Winter/Frühling 2016
…
Bereits Wochen zuvor hatte ich wieder begonnen, vermehrt nach den kosmischen Gesetzen zu leben und mit ihnen zu arbeiten. Täglich nahm ich mir Zeit, mich in die Stille der Meditation zu begeben, um meine freudvollen Emotionen in Liebe mit meinen Gedanken bewusst zu koppeln.
Ich stellte mir geistig vor, WAS ich sein will (glücklich, strahlend, dankbar, liebend, wohlhabend, gesund, erleuchtet, mutig, schöpferisch, freudvoll, erfolgreich), verankerte diese Gedanken in meinem Inneren, in meinem Bewusstsein, sodass ich diese Emotionen auch tatsächlich fühlen konnte, und affirmierte sie ins ewige JETZT.
Herbert, du bist immer in meiner Nähe, das weiß und spüre ich. Natürlich ist es nicht so, dass ich mir dessen ständig bewusst bin, aber in meinen verzweifeltsten Momenten, die mich ab und zu immer noch heimsuchen, kann ich mich darauf besinnen, dich zu mir rufen, und deine Worte bewusst wahrnehmen. Das gibt mir nach wie vor viel Trost. Dabei ist es nicht so, dass mich dein Tod so sehr belastet, es ist viel mehr das Leben, das ich nicht mehr habe, dieses häufige Alleinsein, nach wie vor so oft an Einsamkeit gekoppelt.
Einsamkeit. Ich komme schwer mit ihr zurecht.
Viele Menschen können allein sein, ohne einsam zu sein. Ich kann das nicht. Noch nicht? Ich wünsche es mir so sehr…
Am schlimmsten ist es an den Abenden.
Es ist das Leben, das mir fehlt, es ist nicht der Tod, der mich belastet.
Wenn man eine erfüllende Partnerschaft erlebt hat, ist das Bedürfnis danach wahrscheinlich nicht mehr auszulöschen. Wir sind nun mal Menschen, die hier auf Erden in der Dualität leben, gepaart mit dem Bedürfnis nach Zweisamkeit.
Mir ist klar: Herbert ist tot. Er lebt in der anderen Welt weiter, ist mein zweiter Schutzengel, mein Geistführer, und ich kann ihn rufen, wann immer ich will. Ich habe seinen Tod schon lange akzeptiert, und er hat mir mit seiner spirituellen Verbindung sehr dabei geholfen. Ich bin dankbar für die Jahre, in denen wir unsere großartige Liebe auch auf der Erde leben konnten. Ich erinnere mich gerne an so viele Begebenheiten mit ihm, und vor allem auch an viele seiner liebenden Worte,
Jetzt, in diesem Moment, fühle ich, wie du deine Hände sanft auf mein Gesicht legst, mich zärtlich hältst, mir so viel Liebe zukommen lässt, dass stumme Tränen sich in meinen Augen sammeln. Ja, ich weiß, du liebst mich immer noch, und ich liebe dich. Wohin möchtest du mich führen, mein Schatz? Ich spüre ganz deutlich, dass unser gemeinsamer Weg noch lange nicht beendet ist. Heute hast du ganz klar zu mir gesagt: „Schreib! Setz dich an den Computer und beginne über deinen spirituellen Weg zu schreiben, über unsere weiteren Gespräche nach meinem Tod.“
Ich weiß zwar auch diesmal nicht, worauf es hinausläuft, wo du mich hinführen willst, aber ich habe Vertrauen, setze mich also hin und schreibe…
Du wirst mir in den weiteren Gesprächen helfen, meine spirituelle Aufgabe zu finden, meinen Lebensplan zu leben, meine Hellhörigkeit zu kanalisieren. Und so wie du mir hilfst und ich deine Worte niederschreibe, werden sie auch den Lesern helfen, ihre Herzen zu öffnen und ihren eigenen Seelenweg erkennen und leben zu dürfen. Ich bin gespannt und lasse mich auf dieses Abenteuer gerne ein.
Es ist einfach, weise Worte niederzuschreiben oder zu predigen. Aber ist es auch einfach, diese Weisheit tatsächlich zu leben? Ich möchte weiterhin meine ganz persönliche und authentische Geschichte erzählen, mit all meinen Schwächen. Es kommt auf die Wendepunkte an und auf den Mut, Veränderungen zuzulassen. Die Tiefen dazwischen sind menschlich.
…
spätabends
Gerade eben saß ich noch ein bisschen auf meinem Balkon, ein Glas Wein in der Hand, um den Tag in der milden Nachtluft ausklingen zu lassen. Ich ließ meinen Gedanken freien Lauf. Und wieder traf mich eine neue Erkenntnis, die sich wichtig anfühlt: Ich habe gelernt auf Distanz zu lieben! Das ist neu für mich.
Ich versuche mich zu erinnern, wie es damals war, als du beruflich auf Reisen sein musstest. Ich habe immer gelitten, wenn wir getrennt waren. Natürlich habe ich dazwischen auch mein Leben gelebt, meine Kinder versorgt, meine Arbeit gut getan, Freunde getroffen. Aber dennoch war da dieser Schmerz der Trennung.
Der Schmerz nach deinem Tod war ungleich größer, denn da gab es kein Wiedersehen mehr, keine Vorfreude auf die nächste Umarmung, du kamst niemals wieder zurück.
Aber heute kann ich dich lieben wie zuvor, obwohl du tot bist und nie mehr in diesem Leben auf die Erde als Mensch zurückkehren wirst. Ich liebe dich auf Distanz, ohne dass es schmerzt. Ich fühle mich wie erwacht nach einem langen Schlaf. Und beschenkt. Beschenkt mit diesem innigen Gefühl der Liebe, die sich noch reifer, noch größer, noch selbstloser anfühlt, als ich es je zu erträumen vermocht hatte. All das durfte geschehen, weil ich erneut durch einen Schmerz gehen durfte, der mich dies gelehrt hat.
Ich verstehe. Ich habe erkannt.
Und wiederum bleibt über alldem nur eins: DANKBARKEIT!